Von Rachel Salamander
Als 1947 der erste Gedichtband von Gerty Spies im Freitagsverlag erschien, grüßte Hermann Hesse die Dichterin mit den Worten: „Es ist schön und hat etwas Versöhnendes, dass dieses Theresienstadt auch so etwas rein Dichterisches hervorgebracht hat.“ Und so war es: Dort, wo eine von Tag zu Tag sich erneuernde Energie der Barbarei die Stirn zu bieten versuchte, dort erweckte der Schmerz die Begabung. Der Schriftstellerin Gerty Spies, deren kürzlichen Tod wir beklagen, sind in ihrem langen Lebensweg all die Daten der sogenannten deutsch-jüdischen Symbiose auf typische Weise eingeschrieben. Aus einer seit Jahrhunderten in Deutschland ansässigen Familie stammend, waren ihre Eltern auf dem besten Weg, sich zu assimilieren. Noch als bewußter Jude schrieb der angesehene Kaufmann und als Mundartdichter bekannte Vater von Gerty Spies von Trier aus Hymnen an das deutsche Vaterland. Der einzige Bruder hat im 1. Weltkrieg als Patriot das Leben für Deutschland gelassen. Die Tochter Gerty genoß die liberale Erziehung des deutsch-jüdischen Bürgertums und heiratete nicht-jüdisch, was ihr dann später den sog. privilegierten Status einbrachte, der sie wahrscheinlich überleben ließ. 1929 war sie mit ihrer Tochter nach München gezogen, von wo aus im Juni 1942 auch ihr Leidensweg begann. Ein Transportbefehl zeigte ihr, dass die Liebe zu Deutschland sich als einseitig herausstellte. Die Reise in den Viehwaggons vom Münchner Hauptbahnhof aus brachte sie ins KZ Theresienstadt, von dem sie im Juni 1945 als eine der wenigen Überlebenden nach München zurückkehrte. Sie kam in dieselbe Stadt zurück, aber sie war eine andere geworden, gezeichnet von der Erfahrung des Todes. Dieses Schicksal teilte sie mit allen Überlebenden. Daß sie als Dichterin daraus hervorgegangen ist, macht ihr Überleben noch wunderbarer.
Eindringlich versuchen die Aufzeichnungen in kurzen Bildern wiederzugeben, wozu der Mensch in jenen Tagen fähig war, „im Guten wie im Schlechten“, in denen „das Dasein unerträglich, der Körper schwach, die Nerven zerrüttet, ein Weiterleben unmöglich“ erschien. In der Nacht, todmüde, als sie keinen Schlaf fand, formte sie die Worte ihrer Reime. Die Kraft, das Geschehene in ihr Gedächtnis zu meißeln – Papier für Gedichte gab es in Theresienstadt nicht – ließ sie alle Qualen durchstehen. Gerty Spies hat ein umfangreiches Werk vorgelegt. Über ihre Erinnerungen „Drei Jahre Theresienstadt“ hinaus hat sie nach 1945 weiter geschrieben: Märchen und Kindergedichte, Satirisches, politisch engagierte Gedichte, den Gedichtband „Im Staube gefunden“ und die Erzählung „Das schwarze Kleid“. Mit ihrem Werk und dem ihr bis ins hohe Alter erhalten gebliebenen mädchenhaften Charme wird sie uns in Erinnerung bleiben.
Was ist des Unschuldigen Schuld –
Wo beginnt sie?
Sie beginnt da,
Wo er gelassen, mit hängenden Armen
Schulterzuckend daneben steht,
Den Mantel zuknöpft, die Zigarette
Anzündet und spricht:
Da kann man nichts machen.
Seht, da beginnt des Unschuldigen Schuld.
Dieses Gedicht ist das Vermächtnis des langjährigen
Mitglieds und Ehrenvorsitzenden der GCJZ München,
Gerty Spies.
Die Verse entstanden im KZ Theresienstadt.