Rückblick 2025

Woche der Brüderlichkeit

Füreinander streiten! – Woche der Brüderlichkeit 2025/5785

Ein Rückblick

Wie jedes Jahr seit 1951 haben wir in München wieder die „Woche der Brüderlichkeit“ begangen, diesmal unter dem bundesweiten Motto „Füreinander streiten“. Miteinander streiten ist durchaus wichtig, um unterschwellige Konflikte nicht zu verdrängen, sondern konstruktiv zu bearbeiten. Doch richtiges Streiten, das eben nicht verletzt, sondern in einer Haltung des Respekts geschieht, will gelernt sein. „Füreinander streiten“ ist nochmals eine besondere Herausforderung, hier geht es um den wechselseitigen Einsatz füreinander, um die Verteidigung des anderen, um die Verantwortung für den anderen. Dafür steht die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit seit bald 80 Jahren.

Die diesjährige Woche begann mit einem „Pre-event“ am 6. März im City Kino: In Kooperation mit dem Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München & Obb. und Studiocanal zeigten wir den tief bewegenden Animationsfilm „Das Kostbartse aller Güter“ des Oscar-prämierten Regisseurs Michel Hazanavicius. Es geht in dem atmosphärisch sehr dichten Film um ein armes, kinderloses Holzfällerehepaar, das ein aus dem Deportationszug nach Auschwitz geworfenes kleines jüdisches Kind aufnimmt und sich damit selbst in große Gefahr bringt. Michael Schleicher, Leiter der Kultur- und Medienredaktion des Münchner Merkur, führte dabei kompetent in das Genre des Animationsfilms ein. Der toll gemachte Film und seine Geschichte über die rettende Kraft der Menschlichkeit lässt niemanden unberührt.

Michael Schleicher mit den Vorständen Dr. Andreas Renz und Barbara Kittelberger
(Foto: Sharon Bruck für IKG München & Obb.)

Am Sonntag, den 9. März, fand wie gewohnt im Alten Rathaussaal die feierliche Eröffnung der Woche der und des Jahres der christlich-jüdischen Zusammenarbeit statt. Der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, hielt den Festvortrag, den man hier nachlesen kann. Angesichts der komplexen Krisen der Gegenwart war der Vortrag ein starkes Plädoyer für das gesellschaftliche Engagement der Religionsgemeinschaften und die ethische Verantwortung jedes und jeder Einzelnen: „Die jüdische Streitkultur entspringt also der Erkenntnis, dass der Streit um die Sache nicht nur nötig und gut ist, sondern konstitutiv – für die Religion, für uns als Menschen, für uns als Gesellschaft. Es ist wichtig, uns mit unterschiedlichen Sichtweisen und Weltbildern zu konfrontieren. Es ist notwendig, Meinungsvielfalt und Komplexität wahr- und ernst zu nehmen. Es ist essenziell, uns zu zwingen, die eigene Meinung zu hinterfragen und mit anderen Standpunkten umzugehen. Genau das lässt uns persönlich und als Gesellschaft wachsen und reifen. Wir streiten füreinander!“ Den ganzen Vortrag können Sie hier (Verlinkung) nachlesen. Der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben Dr. Ludwig Spaenle und Stadtrat Prof. Jörg Hofmann sprachen Grußworte.

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt (m.) mit den Vorständen der GCJZ Reiner Schübel und Dr. Andreas Renz (li.) und Herzog Franz von Bayern (re.)
(Foto: Robert Kiderle für EOM)

Die geplante Buchpräsentation „Lieber Gott als nochmal Jesu“ mit Ilja Richter am 10. März musste aufgrund einer Erkrankung des Referenten verschoben werden. Äußerst informativ und kurzweilig war dafür das am 11. März von Dr. Alexandra Nocke eingeführte und moderierte Podiumsgespräch mit der damals noch amtierenden Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Petra Pau und der ukrainisch-deutsch-israelischen Unternehmerin und Bloggerin Jenny Havemann zum Thema „Ich sehe was, was du nicht siehst. Deutschland. Israel. Einblicke.“ Beide Gesprächspartnerinnen lasen und kommentierten im Burda-Saal der IKG ihre Beiträge aus dem höchst lesenswerten Buch „Woran denkst du, wenn du an Deutschland denkst? Woran denkst du, wenn du an Israel denkst?“ Es ging also um die gegenseitige Wahrnehmung von Menschen in Deutschland und Israel. Im Wissensmangel sehen beide ein Grundproblem und ihre Perspektiven wie die der anderen Autorinnen und Autoren des Buches können dabei Verengungen aufbrechen. Lesen sie den ausführlicheren Bericht in der Jüdischen Allgemeinen.

Bettina Nir-Vered (DIG), Petra Pau, Alexandra Nocke, Charlotte Knobloch, Jenny Havemann, Reiner Schübel, Andreas Renz, Hans Rehm (v.l.n.r.)
(Foto: Astrid Schmidhuber für IKG München & Obb.)

Am 12. März lasen die bekannten Literatinnen Dana von Suffrin und Lena Gorelik in der Liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom ihre Texte aus dem Band „Stolpertexte – Literatur gegen das Vergessen“ und sprachen darüber mit dem Initiator des Erinnerungsprojektes Matthias Pfeffer. Die Texte sind literarische Verarbeitungen von Memoiren, Briefen und Tagebüchern überlebender deutsch-sprachiger Jüdinnen und Juden, die im New Yorker Leo Baeck Institute aufbewahrt werden und auf diese Weise dem Vergessen entrissen werden. Diese Zeugnisse erinnern an die Leben und Hoffnungen von Menschen, denn unter der Nazi-Terrorherrschaft alles genommen wurde. Der tief berührende Abend wurde musikalisch umrahmt von Boris Stansky am Cello und Susanne Klovsky am Klavier.

Lena Gorelik, Matthias Peffer, Dana von Suffrin (Foto: ARenz)

Am 13. März führte die Religionsphilosophin und Präsidentin der Edith-Stein-Gesellschaft Dr. Beate Beckmann-Zöller im Haus des Deutschen Ostens in das Leben und die Gedanken- und Glaubenswelt der in Breslau als Jüdin geborenen Edith Stein ein. Die Philosophin, Pädagogin und auch politisch tätige Frau wurde durch Lebenskrisen hindurch Katholikin und schließlich Nonne im Karmel-Orden. Als Jüdin wurde sie im KZ Auschwitz-Birkenau 1942 ermordet. Der Vortragsabend eröffnete beeindruckende Perspektiven auf diese außergewöhnliche Frau, die ihre jüdische Herkunft nie verleugnete und heute Mit-Patronin Europas ist.

Beate Beckmann-Zöller (Foto: ARenz)

Die Woche endet mit einem bewegten und bewegenden Kabbalat-Shabbat-Gottesdienst und einem anschl. gemeinsamen Abendessen in der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Shalom. „Füreinander streiten“ – das Jahr der christlich-jüdischen Zusammenarbeit geht weiter! (ARenz)