im Saal des Alten Rathauses München Veranstaltung für geladene Gäste
Rede der Landtagspräsidentin Barbara Stamm (es gilt das gesprochene Wort!)
„Meine sehr geehrten Damen und Herren,
sehr geehrte Staatsministerin, liebe Emilia, [Sozialministerin Emilia Müller]
sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Josef, [Bürgermeister Josef Schmid]
sehr geehrte Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit München /Regens-burg:
liebe Frau Dr. Rüttiger,
lieber Herr Professor Pitum,
lieber Kirchenrat Schübel!
Ich will mich ganz herzlich für die Einladung zur heutigen Schlussveranstaltung der Woche der Brüderlichkeit bedanken. Ich freue mich sehr, dass ich heute die Festrede halten darf, denn gerade in diesen Zeiten ist es wichtiger denn je, dass wir uns mit aller Kraft darum bemühen, Spaltung zu verhindern und Verständigung und Versöhnung zu fördern. Und wer hätte auf diesem Gebiet mehr Erfahrung als die Mitglieder der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit: Seit über sechs Jahrzehnten haben Sie sich den interreligiösen Dialog auf ihre Fahnen geschrieben. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, an das Leid, das den Menschen in der Vergangenheit angetan wurde, zu erinnern und die Lehren daraus in die Zukunft zu tragen. Sie setzen sich auf großartige Weise immer neu und mit unterschiedlichen Schwerpunkten für das Miteinander in unserer Gesellschaft ein.
Es gibt einfach Traditionen, die unwahrscheinlich wertvoll sind und an denen man unbedingt festhalten sollte – und die Woche der Brüderlichkeit gehört da zweifelsohne dazu!
In diesem Jahr ist das bundesweite Motto:
„Angst überwinden – Brücken bauen.“
Ich finde, das ist ein ganz wunderbares Motto, über das es sich nachzudenken lohnt – gerade auch für uns, die wir in der politischen Verantwortung stehen.
Etliche Umfragen und Studien zum Thema „Angst“ zeigen, dass Gefühle der Angst in der deutschen Bevölkerung in den letzten Jahren immer stärker zugenommen haben.
Es handelt sich dabei oft um Ängste, die auf bestimmte Ereignisse wie zum Beispiel den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz zurückzuführen sind.
Zum Teil sind diese Ängste aber auch ganz diffus und vage und damit eher Zeichen einer allgemeinen Verunsicherung. Dennoch oder vielleicht sogar gerade deswegen sind diese objektiv eigentlich unbegründeten Ängste für unsere Gesellschaft besonders gefährlich und müssen ernst genommen werden.
Denn Angst hat nur auf den ersten Blick ein zurückhaltendes und defensives Verhalten zur Folge. Auf den zweiten Blick aber bringt sie weit weniger harmlose Gefühle hervor.
Von einem deutschen Schriftsteller [Gerd Peter Bischoff] stammen die Worte:
„Wer seinen Zorn zeigt, macht seine Angst sichtbar.“ [Zitat Ende]
Angst – das weiß man seit Langem – ist letztlich die Mutter von Zorn, Wut und Gewalt.
Wenn man die schrecklichen Hass-Kommentare liest, die tagtäglich im Netz veröffentlicht werden.
Wenn man die beleidigende und rassistische Sprache hört, mit der inzwischen selbst manche Politiker unverhohlen gegen Andere hetzen – dann ist es letztlich oft Angst, die da ihr hässliches Gesicht zeigt.
Aus diesem Grunde denke ich, dass der Appell, den die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in diesem Jahr als Motto gewählt haben, ganz besonders wichtig und hochaktuell ist:
Angst überwinden!
Gleichzeitig haben Sie auch den Weg gewiesen, wie dies gelingen kann: Durch das Bauen von Brücken.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass man Angst vor allem vor Dingen hat, die man nicht kennt. Das kann dann zu merkwürdigen Phänomenen führen: So ist zum Beispiel die Ausländerfeindlichkeit gerade in den Regionen am höchsten, in denen die Ausländerquote am niedrigsten ist.
Das Fremde ist vielen von uns ganz offensichtlich erst einmal unheimlich – das liegt vielleicht in der Natur des Menschen.
Die Frage ist aber, wie man mit diesem Unbehagen umgeht. Schottet man sich ab?
Betont man die Unterschiede und grenzt sich ab? Versucht man gar, das Fremde zu vertreiben?
Oder entscheidet man sich dafür, auf den Fremden zuzugehen? Lernt man ihn kennen und vielleicht sogar schätzen? Und stellt man vielleicht zu guter Letzt fest, dass die vormalige Angst ganz unbegründet war?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der zweite Weg der richtige ist.
Denn was ich kenne, macht mir – meistens zumindest – keine Angst mehr. Damit kann ich umgehen, auch, wenn es anders ist. Deswegen liegt die Lösung darin, Interesse am anderen zu zeigen, Kontakt zu knüpfen, kurz:
Brücken zu bauen.
Nichts anderes tut die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Dabei beeindrucken mich die Projekte am meisten, die sich an Kinder und Jugendliche richten. Denn hier ist die nötige Offenheit oft noch von ganz alleine da und hier kann man besonders viel bewirken.
Ich denke da zum Beispiel an ein Projekt der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Franken, das im letzten Jahr mit dem Bürgerpreis des Bayerischen Landtags ausgezeichnet wurde: an den Schulpokal „Etz-Chaim“ [hebräisch: Baum des Lebens].
Dieser Pokal wandert seit einigen Jahren von Schule zu Schule. Und die dortigen Schülerinnen und Schüler führen verschiedenste Projekte durch, in denen es um die Verständigung zwischen den Religionen geht. Dabei ist er nicht Anerkennung für bereits Geleistetes, sondern Ansporn für das vorausliegende Schuljahr. Und es ist wirklich ganz wunderbar, mit welcher Kreativität die Jugendlichen Ideen entwickeln und Brücken zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen bauen.
Dabei lernen sie nicht nur andere Religionen kennen, sondern sie setzen sich auch noch einmal intensiv mit dem eigenen Glauben auseinander.
Das ist – das ist meine tiefe Überzeugung – auch ganz besonders wichtig. Denn je sicherer ich mir hinsichtlich meiner eigenen Überzeugungen bin, umso leichter fällt es mir auch, Vorurteile und Ängste gegenüber Anderem abzubauen.
Stefan Zweig hat einmal gesagt:
„Wer seine Wurzeln nicht kennt, kennt keinen Halt.“
Umgekehrt können die, die sich ihrer Wurzeln wirklich bewusst sind, umso gelassener mit anderen Ansichten umgehen. Denn sie haben Halt in ihrem Glauben, in ihren Überzeugungen, in ihren Werten. Wer diesen Halt hat und auf einem festen Fundament steht, der muss keine Angst haben. Er kann selbstbewusst und offen auf den anderen zugehen.
Bei den Projekten der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit geht es jedoch nicht nur um Toleranz gegenüber anderen Religionen. Es geht auch ganz allgemein um Respekt und gegenseitige Akzeptanz in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Da gibt es zum Beispiel die Gesamtschule in Herten in Nordrhein-Westfalen, die mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Recklinghausen zusammenarbeitet. Diese Schule hat sich 2008 in „Rosa-Parks-Schule“ umbenannt, um an diese mutige amerikanische Bürgerrechtlerin zu erinnern.
Die meisten von uns erinnern sich noch aus ihrer Schulzeit: Rosa Parks hat 1955 die Bürgerrechtsbewegung mitbegründet, indem sie sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast freizumachen.
Ihr Einsatz für Gleichberechtigung und gegen Rassismus ist bis heute vorbildlich. Und auch diese Werte sind es, die von den christlich-jüdischen Gesellschaften hochgehalten werden.
Denn was ist denn das gemeinsame Fundament, auf das wir uns im Grunde berufen, wenn wir von der jüdisch-christlichen Tradition reden? Geht es hierbei nicht gerade um Toleranz und die Wahrung der Menschenwürde?
Gerade auch weil die Geschichte von Christen und Juden in der Vergangenheit ja oftmals nicht von Akzeptanz und Mitmenschlichkeit geprägt war – im Gegenteil!
Und auch heute ist die Gefahr von Antisemitismus leider längst nicht gebannt! Dass wir auf Bundesebene und nun auch in verschiedenen Ländern Stellen für Antisemitismus-Beauftragte schaffen, ist wichtig und gut. Dass dies notwendig ist, sollte uns aber gleichzeitig sehr zu denken geben!
Wir müssen uns nach wie vor ganz entschieden gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Menschenverachtung wenden. Dies gebietet nicht nur die Staatsräson, dies gebietet schlicht der menschliche Anstand!
Wenn wir also die jüdisch-christlichen Werte zitieren, sollten wir uns stets bewusst machen, was eigentlich der Kern dieser Werte ist.
Manchmal habe ich nämlich den Verdacht, dass diejenigen, die sich besonders oft und besonders lautstark auf die „Tradition des jüdisch-christlichen Abendlandes“ berufen, eigentlich erneut Gefahr laufen, sich auf ungute Weise gegen andere abzugrenzen.
Ganz nach dem Motto:
Das jüdisch-christliche Abendland auf der einen Seite, der Islam auf der anderen Seite.
Statt nach Gemeinsamkeiten und dem Verbindenden zu suchen, statt Offenheit und Toleranz zu zeigen, werden Gräben aufgerissen. Wenn auf die „abendländische Tradition“ verwiesen wird, darf es also nicht darum gehen, neue Feindbilder zu konstruieren.
Vielmehr sollten wir uns vor Augen führen, dass Werte wie Toleranz und Humanität universal sind. Sie sind einem nicht allein schon durch die Religionszugehörigkeit oder gar die Staatsbürgerschaft gegeben.
Sie müssen von jedem einzelnen, egal welchen Hintergrund er oder sie mitbringt, immer wieder neu gelebt werden.
Brücken müssen nicht nur gebaut werden. Wir brauchen auch Menschen, die bereit sind, darüber zu gehen.
Hierfür müssen viele Menschen zunächst Ängste überwinden und Mut fassen.
Der Philosoph und Psycho-Therapeut Victor Emil Frankl – selbst ein Holocaust-Überlebender – hat einmal gesagt:
„Erst der Mut zu sich selbst wird den Menschen seine Angst überwinden lassen.“
Die Gesellschaften für jüdisch-christliche Zusammenarbeit haben dies erkannt. Sie wissen, dass man den Menschen Mut machen muss:
Mut zu sich selbst, Mut zum Anderen.
In vielen Veranstaltungen und Projekten setzen Sie sich genau dafür ein. Sie stellen sich Intoleranz und Fanatismus entgegen und befördern durch Ihre Initiative auf großartige Weise das Miteinander in unserer Gesellschaft. Die Woche der Brüderlichkeit setzt gerade in Zeiten, in denen wir uns der gesellschaftlichen Spaltung ganz besonders entgegenstellen müssen, ein wichtiges, weit sichtbares Zeichen.
Für diesen Einsatz danke ich Ihnen und allen, die sich in den Gesellschaften engagieren, von ganzem Herzen.
Wir brauchen ihn mehr denn je.“